Fourier-Reihen, Teil 7 – wie Signale in Frequenzen zerlegt werden

Wenn wir ein Signal in eine Fourier-Reihe »entwickeln«, müssen wir herausfinden, welche Frequenzen in diesem Signal stecken. Die Formeln dazu haben wir schon in Teil 3 gesehen. Aber warum funktioniert das – speziell bei gemessenen Signalen – wirklich?

Bekannte Periodendauer

Wie wir in Teil 3 gesehen haben, können wir die Fourier-Koeffizienten \underline{S}_k des Signals s über die zeitlichen Mittelwerte

\displaystyle\underline{S}_k=\frac{1}{T}\int_0^T s(t) \cdot e^{-\underline{i} k \omega_1 t}\,\mathrm{d}t

berechnen. Die Integrationsgrenzen sind dabei egal, solange wir über eine ganze Periode T integrieren. Dabei ist

\displaystyle\omega_1=\frac{\tau}{T}=\frac{2\pi}{T}

die Grundkreisfrequenz, und

e^{-\underline{i} k\omega_1 t}

ist ein Zeiger der Länge 1, der mit der Kreisfrequenz k\cdot\omega_1 im Uhrzeigersinn rotiert. Je größer k ist, desto schneller dreht sich der Zeiger.

Das Produkt s(t)\cdot e^{-\underline{i} k\omega_1 t} ist daher ein rotierender Zeiger, dessen Länge sich während der Rotation zeitlich mit s(t) ändert. Sollte s(t) negativ werden, dreht sich der Zeiger um, nicht aber seine Drehrichtung.

Abb. 1 zeigt einige diese rotierenden Zeiger für einen Sinus, von dem nur die positive Halbwelle durchgelassen wird (ähnlich wie in Teil 2, aber etwas nach unten geschoben). Das Signal ist

\displaystyle s(t)=\begin{cases}\tfrac{3}{2}\sin(\omega_1\cdot t)-\tfrac{1}{2}&0\,\text{s}\leq t<1\,\text{s}\\-\tfrac{1}{2}&1\,\text{s}\leq t <2\,\text{s}\end{cases}

(periodisch fortgesetzt). Die Grundfrequenz ist hier f_1=0.5\,\text{Hz} und die Grundkreisfrequenz ist \omega_1=\tau\cdot 0.5\,\text{Hz}\approx 3.14\,\text{s}^{-1}.

Abb. 1: Oben: der zeitliche Verlauf unseres Signals. Unten: die rotierenden Zeiger s(t)\cdot e^{-\underline{i} k\omega_1 t} für k = 0, 1, 2 und 3. Die Animation wurde um den Faktor 2 verlangsamt.

Die rotierenden blauen Zeiger sind s(t)\cdot e^{-\underline{i} k\omega_1 t}; ihre Spitzen beschreiben die roten Kurven in der komplexen Ebene. Diese Kurven sind eine Periode unseres Signals, die mit dem Faktor e^{-\underline{i} k\omega_1 t} k-mal um den Ursprung gewickelt wird. Spätestens nach einmal Herumwickeln ist unser Signal nur noch schwer zu erkennen. Sollte unser Signal einen oder mehrere Sprünge haben, würden sich Kurven mit getrennten Teilen ergeben.

Der Ausdruck

\displaystyle\frac{1}{T}\int_0^T s(t)\cdot e^{-\underline{i} k\omega_1 t}\,\mathrm{d}t

sorgt nun dafür, dass wir den zeitlichen Mittelwert der rotierenden Zeiger nehmen; sprich, wir berechnen die Schwerpunkte dieser Kurven. Abb. 2 zeigt das für die Werte k=0 bis 10.

Abb. 2: Links: unser Signal k-mal um den Ursprung gewickelt. Der violette Punkt ist der Schwerpunkt und der grüne Punkt zeigt die Spitze der komplexen Amplitude A_k. Rechts: Betrag und Phase der komplexen Amplituden.

Die linke Seite von Abb. 2 zeigt die herumgewickelten Signale. Die Helligkeit der Kurve zeigt die Dichte der Punkte, über die gemittelt wird. Der violette Punkt ist der Schwerpunkt und damit die Spitze des Pfeils der Fourier-Koeffizienten \underline{S}_k. Der grüne Punkt ist die Spitze der komplexen Amplituden \underline{A}_k. Außer für k=0 ist er doppelt so weit weg vom Ursprung wie der violette Punkt und um 90° gegen den Uhrzeigersinn vorgedreht.

Die rechte Seite von Abb. 2 zeigt Betrag und Phase der komplexen Amplituden \underline{A}_k, also das Spektrum.

Immer dann, wenn die Kurve in Abb. 2 links in eine Richtung hin »ausgebuchtet« ist, hat man eine nennenswerte Amplitude. Für halbwegs sinnvolle Signale kann man näherungsweise sagen: Wenn das Signal »sehr oft« um den Ursprung gewickelt wurde (k »sehr groß«), wird die Kurve immer symmetrischer, der Schwerpunkt wandert zum Ursprung, und die Amplituden nehmen mit zunehmender Frequenz ab.

Sondieren mit beliebigen Frequenzen

Man kann die Sache auch folgendermaßen sehen (s. z.B. die YouTube-Videos von William Cox und 3Blue1Brown): Prinzipiell müssen wir das Signal nicht 1-mal, 2-mal, 3-mal, etc. herumwickeln. Für k = 0.25 würde das Signal nur eine Viertel-Umdrehung aufgewickelt, für k = 2.5 zwei-einhalb-mal um den Ursprung gewickelt.

Für jeden beliebigen reellen Wert von k können wir das obige Spiel spielen und einen Schwerpunkt berechnen. Da jedem Wert von k aber die Frequenz f=k\cdot f_1=k/T entspricht, untersuchen wir unser Signal auf diese Weise mit allen beliebigen Frequenzen. Für periodische Signale interessieren nur die ganzzahligen Werte von k, aber im nächsten Teil werden wir uns den nicht-periodischen Signalen zuwenden.

Das Ergebnis beliebiger k-Werte für unser Signal zeigt die Animation in Abb. 3. Das Verdrillen des Signals um den Ursprung kann man jetzt schön beobachten. Der violette Schwerpunk und der grüne Punkt für die komplexen Amplituden irrlichtern zunächst wild in der Gegend herum, bevor sie zum Ende hin nur noch um den Ursprung zappeln.

Abb. 3: Die kontinuierliche Version von Abb. 2. Im Spektrum sind für periodische Signale nur die ganzzahligen k-Werte interessant.

Die kleinen Punkte im Spektrum sind Betrag und Phase der komplexen Amplitude für beliebige Frequenzen; ihre Bedeutung wird sich erst im nächsten Teil zeigen. Das Spektrum an sich besteht hier weiterhin nur aus den ganzzahligen Vielfachen k\cdot f_1 der Grundfrequenz.

Unbekannte Periodendauer

Wenn wir ein unbekanntes Signal messen, kennen wir seine Periodendauer nicht, und messen es einfach über die Messdauer T_m. Das Ergebnis für T_m=\frac{90}{7}\,\text{s}\approx12.86\,\text{s} zeigt Abb. 4. Wir messen also fast 7 Perioden unseres Signals.

Abb. 4: das k-mal herumgewickelte Messignal (links) und sein Spektrum (rechts) mit N=2^{14}=16\,384 Samples.

Diese Animation scheint schneller zu laufen als in Abb. 3. Das ist aber nicht der Fall; beide haben 30 fps und etwa gleiche Dauer. Der Grund ist, dass aufgrund der Messdauer unser Signal hier fast 7-mal länger ist. Für Details kann man auf Pause drücken und mit der Zeit-Scrollleiste vor und zurück scrollen. Der Übersichtlichkeit habe ich auf die kleinen Punkte bei allen Frequenzen im Spektrum verzichtet; der Frequenzabstand ist hier ohnehin fast 7-mal kleiner als in Abb. 3.

Wann immer die Testfrequenz f in der Nähe einer tatsächlich im Signal vorhandenen Frequenz ist, sammelt sich das verdrillte Messsignal auf einer Seite, und wir erhalten eine große Amplitude. Wenn wir z.B. k so wählen, dass \frac{T_m}{k}=T wird, passt eine Periode genau in eine Umdrehung. Die Kopien der Periode liegen genau übereinander und erzeugen eine Ausbuchtung. Das passiert hier bei k = 6.43.

Leider ist diese Frequenz nicht in unserem Spektrum enthalten, also nutzt es nichts. Aber bei Frequenzen in der Nähe passt es auch fast, und wir haben immer noch eine Ausbuchtung der Kurve. Deshalb kommt es zum Leck-Effekt (Leakage). Man sieht das bei f\approx0.5\,\text{Hz}, f\approx1\,\text{Hz} und f\approx2\,\text{Hz}. So kann man testen, bei welchen Frequenzen das Signal eine nennenswerte Amplitude hat.

In Abb. 4 habe ich 2^{14}=16\,384 Samples verwendet, damit die Kurven wie Kurven aussehen. Das entspricht einer Abtastrate (Sampling-Frequenz) von f_s=\frac{N}{T_m}\approx1274\,\text{Hz} und einer Nyquist-Frequenz von f_{\text{Nyquist}}\approx637\,\text{Hz}. Für ein Signal, dessen Amplituden jenseits von 5\,\text{Hz} praktisch 0 sind, ist das natürlich Overkill.

Eine realistischere Version mit N=2^8=256 Samples zeigt Abb. 5. Die Nyquist-Frequenz ist jetzt f_{\text{Nyquist}}\approx9.96\,\text{Hz}. Verglichen mit Abb. 4 sieht man hier von Beginn an nur eine verwirrende Punktwolke.

Abb. 5: Wie Abb.4, aber mit N=2^8=256 Samples.

Trotzdem ist das Spektrum fast identisch zu dem aus Abb. 4. Obwohl mir prinzipiell klar ist, warum das so ist, finde ich es sehr erstaunlich, wenn ich die beiden Animationen vergleiche.

Bis auf den Leck-Effekt sehen die Amplituden-Spektren der gemessenen Signale so aus wie das vom exakten Signal. Die Phasen-Spektren sind jedoch völlig anders. Ich bin mir bis jetzt nicht sicher, ob es da nicht doch eine Abhilfe gibt …

Diskussion

Hier haben wir erstmals die Idee eingebracht, ein Signal mit beliebigen Frequenzen zu »testen«, um zu schauen, ob es eine entsprechende Amplitude gibt. Diese Idee wird sich im nächsten Teil auch für nicht-periodische Signale als brauchbar erweisen. Allerdings werden wir uns dann über die Mittelung unterhalten müssen …

Weiter in Teil 8.

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