In Teil 1 haben wir gesehen, dass die Addition von Sinussignalen unterschiedlicher Frequenzen wieder ein periodisches Signal ergibt, wenn alle Frequenzen ganzzahlige Vielfache einer Grundfrequenz sind. Die Periodendauer des Summensignals ist dann
. In diesem Teil beschäftigen wir uns mit Frequenzen, die nicht mehr ganzzahlige Vielfache voneinander sind.
Nehmen wir an, wir addieren zwei Sinussignale der Frequenzen und
:
.
Der Einfachheit halber setzen wir beide Amplituden gleich 1 und die Phasen gleich 0. Es gilt wieder .
Ganzzahliges Frequenzverhältnis
Zum Vergleich zeigt Abb. 1 nochmal den Fall, dass die größere Frequenz ein ganzzahliges Vielfaches der kleineren ist; konkret und
. Das Summensignal sieht aus, als würde das schnellere Signal im Takt des langsameren nach oben bzw. unten verschoben werden.

Die Grundfrequenz ist und alle ganzzahligen Vielfachen davon könnten vorkommen. Tatsächlich sind alle Amplituden außer für
und
gleich 0.
Rationales Frequenzverhältnis
Wie sieht es aus, wenn die Frequenzen und
fast gleich sind? In diesem Fall kann die größere Frequenz kein ganzzahliges Vielfaches der kleineren sein. Sie kann aber ein rationales Vielfaches der kleineren sein:
,
wobei n und m positive ganze Zahlen mit und
sind (vollständig gekürzter Bruch).
Die Grundfrequenz
ist jetzt um den Faktor m kleiner als . Die Frequenzen der Einzelsignale sind dann nämlich beide ganzzahlige Vielfache,
und
,
der Grundfrequenz . Für die Periodendauer gilt
.
Sie ist damit m-mal so lang wie die Periodendauer des langsameren Einzelsignals.
Beispiel 1
Bleiben wir weiter bei und nehmen den Fall
.
Das Summensignal in Abb. 2 sieht qualitativ anders aus als das Summensignal in Abb. 1. Wir haben zwar wieder eine schnelle Schwingung, aber deren Mittelwert ändert sich nicht. Stattdessen wird ihre Amplitude langsam kleiner und größer, was man als Schwebung bezeichnet.
Die Schwebung dauert allerdings länger als . Wegen
ist die Periodendauer des Summensignals
.

Die Grundfrequenz beträgt und daher ist der Frequenzabstand im Spektrum viel kleiner als im ganzzahligen Fall. Bis auf zwei sind aber wieder alle Amplituden gleich 0.
Beispiel 2
Wie sieht es aus, wenn wir etwas vergrößern, z.B. auf
?
Die Antwort gibt Abb. 3 und ist etwas überraschend. Durch diese kleine Änderung von hat sich die Periodendauer auf
halbiert. Warum? Der Bruch 12/10 ist nicht vollständig gekürzt, sondern gleich 6/5. Die Grundfrequenz
ist daher 1/5 von
und die Periodendauer entsprechend
. Gleichzeitig haben wir in derselben Zeit mehr »Bäuche«, also Bereiche, wo das Signal besonders groß wird.

Weil die Grundfrequenz auf verdoppelt ist, ist auch der Abstand zwischen den möglichen Amplituden verdoppelt.
Beispiel 3
Machen wir die Frequenz noch etwas größer, z.B.
.
Dieses Beispiel ist in Abb. 4 gezeigt. 13/10 lässt sich nicht weiter kürzen, weshalb die Grundfrequenz wieder beträgt und die Periodendauer
. Außerdem ist die Zahl der Bäuche wieder größer geworden. Während in den letzten beiden Beispielen jeder Bauch eine exakte Kopie des Nachbarn war, ist das hier nicht mehr der Fall.

Der Frequenzabstand im Spektrum ist wieder auf gesunken.
Schwebungen als Amplitudenmodulation (AM)
In Teil 7 der komplexen Zahlen haben wir gesehen, dass
ist. Für unseren Fall heißt das
Die letzte Zeile gilt, weil ist, und wir
angenommen haben.
Die rechte Seite kann man so auffassen, dass wir eine zeitabhängige Amplitude
haben, die sich mit der halben Differenzfrequenz ändert. Die Amplitude wird wie man sagt moduliert, deshalb Amplitudenmodulation (AM).
Wenn ist, ändert sich die Amplitude sehr langsam. Dieser Faktor ist als blaue Kurve in den Abbildungen gezeichnet und wird Einhüllende genannt. Genauer gesagt, wird das Signal von dieser Funktion und ihrem Negativen eingehüllt (strichlierte blaue Kurven).
Für die Bäuche ist es egal, welches Vorzeichen die Amplitude hat. Die Frequenz der Bäuche ist daher das doppelte der Amplitudenfrequenz, also einfach die Differenzfrequenz . Je größer diese Differenz ist, desto mehr Bäuche pro Zeiteinheit gibt es.
Das eigentliche Signal schwingt mit dem Mittelwert der beiden Frequenzen.
Übrigens, damit das Summensignal in jedem Bauch gleich aussieht, muss die Differenzfrequenz gleich der Grundfrequenz sein, also
sein. Daraus folgt , was für die Frequenzverhältnisse 11/10 und 12/10 = 6/5 erfüllt war, aber nicht für 13/10.
Schwebungen kann man hören
Wie schon in Teil 2 angedeutet, kann das menschliche Gehör Frequenzen einzelner Töne bestimmen. Wenn die aber zu knapp beisammen sind, funktioniert das nicht mehr so ganz. Bei einer Schwebung hören wir also einen Ton mittlerer Frequenz, der mit der Differenzfrequenz lauter bzw. leiser wird.
Mit Hilfe zweier leicht verstimmter Stimmgabeln oder von zwei Tongeneratoren (z.B. http://www.szynalski.com/tone-generator/) kann man das schön hörbar machen.
Im ersten Beispiel ist zunächst für ca. 5 s ein Ton mit zu hören, dann ca. 5 s lang ein Ton der Frequenz
. Zum Schluss hört man beide Töne gemeinsam – oder eher nicht, sondern einen Mischton, der lauter und leiser wird. (Frequenzverhältnis
.)
Weil ist, ist die Zeitspanne von laut zu laut gleich
.
Im zweiten Beispiel wird auf
erhöht. Die Differenzfrequenz sind daher
und die Zeitspanne von laut zu laut ist nur noch
. (Frequenzverhältnis
.)
Wenn das Frequenzverhältnis viel größer als 1 ist (z.B. 9/2 = 4.5), bekommt man ein Ergebnis wie in Abb. 5, die sehr ähnlich zum ganzzahligen Verhältnis aus Abb. 1 ist. Die »Einhüllende« gibt es hier natürlich auch, aber man sieht nicht wirklich, dass etwas eingehüllt wird.

Im Tonbeispiel wird die zweite Frequenz jetzt auf erhöht. Hier hört man jetzt deutlich zwei verschiedene Töne, deren Lautstärke sich nicht ändert.
Irrationales Frequenzverhältnis
Zum Abschluss bleibt noch der Fall, dass das Frequenzverhältnis eine irrationale Zahl ist. Irrationale Zahlen sind kein Bruch ganzer Zahlen, aber sie lassen sich durch solche Brüche beliebig genau annähern. Z.B. ist
auf 6 Nachkommastellen genau. (Warum gerade ? Um einen ähnlichen Faktor wie in Abb. 3 bzw. 4 zu erhalten.) Eine weitere Näherung wäre z.B.
auf 12 Nachkommastellen genau. Je genauer wir diese irrationale Zahl durch eine rationale Zahl annähern wollen, desto größer müssen der Zähler n und insbesondere der Nenner m werden.
Nun ist aber die Periodendauer . Weil
konstant ist, wird die Periodendauer immer länger, je näher wir an
heran kommen. Wenn wir also tatsächlich ein irrationales Frequenzverhältnis haben, wird die Periodendauer unendlich lang – wir haben also kein periodisches Signal mehr (s. Abb. 6). Die periodischen Bäuche – sprich die Einhüllende – sind natürlich noch da, aber das Summensignal selber, die grüne Kurve, wiederholt sich niemals exakt.

Das zeigt sich auch im Frequenzspektrum. In den bisherigen Beispielen hatten wir unendlich viele mögliche Frequenzen mit dem Frequenzabstand . Dieser Abstand wird jetzt aber 0. Jede beliebige positive reelle Frequenz kann vorkommen, auch wenn immer nur noch zwei Amplituden ungleich 0 sind.
Die einfache Summe
kann daher keine Fourier-Reihe sein. Wie wir noch sehen werden, müssen wir in so einem Fall von einer Summe zu einem Integral übergehen – der Fourier-Transformation.
Summe von 3 oder mehr Sinussen
Was passiert, wenn wir 3 Frequenzen haben, mit
und
?
Zuerst müssen wir die Brüche auf denselben Nenner bringen, brauchen also das . Weil das ein Vielfaches von
und
ist, können wir ganze Zahlen
und
finden mit
.
Durch Erweitern der entsprechenden Brüche mit diesen Faktoren erhalten wir
und
.
Die Grundfrequenz ist dann
und die Periodendauer ist
.
Je nach Wahl von und
kann die Periodendauer des Summensignals also sehr groß werden. Ähnliches gilt für mehr als 3 Frequenzen.
Weiter in Teil 6.