Komplexe Zahlen, Teil 5 – Rechnen in kartesischer Darstellung

In Teil 1 und Teil 4 haben wir verschiedene geometrische Darstellungen von komplexen Zahlen kennengelernt und auch, wie man damit Rechnungen »konstruktiv« durchführen kann.

In Teil 3 haben wir uns mit den verschiedene algebraische Darstellungen beschäftigt. Jetzt ist es an der Zeit mit den komplexen Zahlen in kartesischer Darstellung schriftlich zu rechnen.

Addition/Subtraktion

Die Addition erfolgt durch paralleles Verschieben eines Pfeils ans Ende des anderen (s. Abb. 1). Dadurch werden in Richtung der beiden Achsen einfach die Komponenten addiert:

\underline{a} + \underline{b} = (a_r + a_i\,\underline{i}) + (b_r + b_i\,\underline{i}) = (a_r + b_r) + (a_i + b_i)\,\underline{i} .

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Abb. 1: Die Addition komplexer Zahlen.

Das zu \underline{b} = b_r + b_i\,\underline{i} additiv Inverse ist -\underline{b} = -b_r - b_i\,\underline{i}. Die Subtraktion \underline{a} - \underline{b} wird damit zur Addition

\underline{a} - \underline{b} = \underline{a} + (-\underline{b}) = (a_r + a_i\,\underline{i}) + (-b_r - b_i\,\underline{i}) = (a_r - b_r) + (a_i - b_i)\,\underline{i} .

Bei der komplexen Addition bzw. Subtraktion werden also einfach die Real- bzw. Imaginärteile getrennt voneinander addiert bzw. subtrahiert.

Multiplikation

Zur Berechnung des Produkts zweier komplexer Zahlen

\underline{a} \cdot \underline{b} = (a_r + a_i\,\underline{i}) \cdot (b_r + b_i\,\underline{i})

tun wir so, als würden wir zwei Klammerterme ausmultiplizieren:

\underline{a}\cdot\underline{b}=a_r\,b_r+a_r\,b_i\,\underline{i}+a_i\,b_r\,\underline{i}+a_i\,b_i\,\underline{i}^2 .

Jetzt verwenden wir \underline{i}^2 = -1 und erhalten

\underline{a} \cdot \underline{b} = (a_r\,b_r - a_i\,b_i) + (a_r\,b_i + a_i\,b_r)\,\underline{i} .

Hat diese komische Mischung der Real- und Imaginärteile von \underline{a} und \underline{b} aber tatsächlich die Eigenschaften, die wir in Teil 1 für die Multiplikation gefunden haben? Ist die Länge des Produkts gleich der Länge von \underline{a} mal der Länge von \underline{b}? Und werden die Winkel tatsächlich addiert?

Zunächst sei \underline{a} = a_r einfach eine reelle Zahl. Dann gilt

\underline{a} \cdot \underline{b} = a_r \cdot (b_r + b_i\,\underline{i}) = a_r\,b_r + a_r\,b_i\,\underline{i} .

Für a_r > 0 ist der Winkel \arg(\underline{a}) = 0 und sowohl Real- wie Imaginärteil von \underline{b} werden mit derselben positiven Zahl multipliziert. Das bedeutet, dass auch die Länge von \underline{b} mit a_r multipliziert wird. Außerdem zeigt \underline{a} \cdot \underline{b} in dieselbe Richtung wie \underline{b} (s. Abb. 2). Für a_r < 0 ist \arg(\underline{a}) = 180^\circ, und Real- und Imaginärteil von \underline{b} werden mit derselben negativen Zahl multipliziert. Die Länge von \underline{b} ändert sich daher um den Faktor \lvert a_r \rvert und die Richtung dreht sich um. Die Multiplikation reeller mit komplexen Zahlen tut also genau das, was wir uns von der Multiplikation der entsprechenden Pfeile erwarten.

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Abb. 2: Multipliziert man einen Pfeil mit einer positiven reellen Zahl, ändert sich nur die Länge (links). Multipliziert man ihn mit einer negativen reellen Zahl, wird er zusätzlich um 180° weitergedreht (rechts).

Multipliziert man \underline{b} mit \underline{a} = \underline{i}, erhält man

\underline{a} \cdot \underline{b} = \underline{i} \cdot (b_r + b_i\,\underline{i}) = -b_i + b_r\,\underline{i} .

Der Realteil b_r von \underline{b} wird also zum Imaginärteil von \underline{i}\,\underline{b} und der Imaginärteil b_i wird zum negativen Realteil von \underline{i}\,\underline{b}. Diese Vertauschung ist genau das, was man sich von einer Drehung um 90° erwartet (Kästchenzählen in Abb. 3). Die Länge bleibt bei dieser Drehung unverändert, also \lvert \underline{i} \cdot \underline{b} \rvert = \lvert \underline{b} \rvert.

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Abb. 3: Durch die Vertauschung von Real- und Imaginärteil und eine Vorzeichenänderung wird \underline{b} um 90° vorgedreht.

Für einen beliebigen Pfeil \underline{a} = a_r + a_i\,\underline{i} kann man das Produkt aufgrund des Distributivgesetzes aufteilen in

\underline{a} \cdot \underline{b} = (a_r + a_i\,\underline{i}) \cdot \underline{b} = a_r \cdot \underline{b} + a_i \cdot \underline{i}\,\underline{b} ,

also in einen Pfeil parallel zu \underline{b} plus einen senkrecht dazu (s. Abb. 4). Weil \lvert\underline{i}\,\underline{b}\rvert = \lvert\underline{b}\rvert ist, ist das grüne Dreieck um den Faktor \lvert \underline{b} \rvert größer als das blaue. Für seine Hypotenuse gilt daher \lvert \underline{a} \cdot \underline{b} \rvert = \lvert \underline{a} \rvert \cdot \lvert \underline{b} \rvert. Außerdem findet sich der Winkel \alpha aus dem blauen Dreieck auch im grünen wieder. Offensichtlich werden \alpha und \beta für den Gesamtwinkel addiert.

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Abb. 4: Weil die schattierten Dreiecke zueinander ähnlich sind, werden die Winkel \alpha und \beta bei der komplexen Multiplikation addiert.

Erstaunlicherweise reicht alleine die Forderung \underline{i}^2 = -1 schon aus, dass bei der Multiplikation beliebiger Pfeile deren Winkel addiert werden. Und es ist tatsächlich eine von uns gewollte Forderung, die zu den gewohnten Rechenregeln dazukommt.

multiplikativ Inverses und Division

Zu jedem \underline{z} \neq 0 muss es ein multiplikativ Inverses \frac{1}{\underline{z}} geben, so dass

\displaystyle\underline{z}\cdot\frac{1}{\underline{z}}=1

ist. Wie sehen Real- und Imaginärteil von diesem \frac{1}{\underline{z}} = c_r + c_i\,\underline{i} aus? Es muss gelten

\begin{aligned} \underline{z} \cdot \frac{1}{\underline{z}} &= (z_r + z_i\,\underline{i}) \cdot (c_r + c_i\,\underline{i})\\ &= (z_r\,c_r - z_i\,c_i) + (z_r\,c_i + z_i\,c_r)\,\underline{i}\\ &= 1 + 0\,\underline{i}\end{aligned}

Weil komplexe Zahlen dann gleich sind, wenn ihre Real- und Imaginärteile übereinstimmen, führt uns das auf das lineare Gleichungssystem

\begin{aligned}z_r\,c_r - z_i\,c_i &= 1\\ z_i\,c_r + z_r\,c_i &= 0\end{aligned}

für c_r und c_i. Für \underline{z} \neq 0 hat es die eindeutige Lösung

\displaystyle c_r = \frac{z_r}{z_r^2 + z_i^2}    und    \displaystyle c_i = \frac{-z_i}{z_r^2 + z_i^2}

bzw.

\displaystyle\frac{1}{\underline{z}}= \frac{z_r - z_i\,\underline{i}}{z_r^2 + z_i^2} .

Der Nenner ist dabei das Quadrat der Länge von \underline{z}: \lvert\underline{z}\rvert^2 = z_r^2 + z_i^2. Der Zähler ist die zu \underline{z} = z_r + z_i\,\underline{i} konjugiert komplexe Zahl

\underline{z}^* = z_r - z_i\,\underline{i}

wo nur das Vorzeichen des Imaginärteils umgedreht wurde. Insgesamt hat man damit

\displaystyle\frac{1}{\underline{z}} = \frac{\underline{z}^*}{\lvert\underline{z}\rvert^2}

bzw.

\lvert\underline{z}\rvert^2 = \underline{z} \cdot \underline{z}^* .

Für die Division komplexer Zahlen ergibt sich schließlich

\displaystyle\frac{\underline{a}}{\underline{b}} = \underline{a} \cdot \frac{1}{\underline{b}}= \underline{a} \cdot \frac{\underline{b}^*}{\lvert\underline{b}\rvert^2} .

Zu dieser Formel kommt man auch, wenn man den Bruch mit dem konjugiert Komplexen von \underline{b} erweitert:

\displaystyle\frac{\underline{a}}{\underline{b}} = \frac{\underline{a} \cdot \underline{b}^*}{\underline{b} \cdot \underline{b}^*} = \frac{\underline{a} \cdot \underline{b}^*}{\lvert\underline{b}\rvert^2} .

Weiter in Teil 6.

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