Komplexe Zahlen, Teil 6b – die allgemeine Sinus-Funktion

Im letzten Teil haben wir gesehen, wie rotierende Zeiger mit der Sinus-Funktion zusammenhängen. Wir konnten die Kreisfrequenz \omega, die Amplitude A, die Phase \varphi oder den Mittelwert m vorgeben.

Oder wir geben alle vier Parameter gleichzeitig vor, was uns zur allgemeinen Sinus-Funktion

\Im\left(\underline{A}e^{\underline{i}\omega t} + m\underline{i}\right) = \Im\left(A e^{\underline{i} (\omega t + \varphi)} + m\underline{i}\right) = A\sin(\omega t + \varphi) + m

führt. Ein Beispiel dafür zeigt Abb. 1.

ZeigerAllgSin
Abb. 1: allgemeine Sinus-Funktion mit Amplitude A = 2, Kreisfrequenz \omega, Phase \varphi = \tau/8 = 45^\circ und Mittelwert m = 1.

Bestimmung der Parameter

Beispiel 1

Wie kann man diese vier Parameter aus einer gegebenen Sinus-Kurve bestimmen? Nehmen wir als Beispiel den sinusförmigen Spannungsverlauf aus Abb. 2.

sin1
Abb. 2: eine sinusförmige Spannung.

Zunächst bestimmt man das Maximum und das Minimum (die »Peak«-Werte). In unserem Fall sind das 1\,\text{V} bzw. -5\,\text{V}. Der Mittelwert (bzw. bei Wechselspannungen auch Gleichanteil) m ist das arithmetische Mittel dieser beiden Werte, also

\displaystyle m = \frac{1\,\text{V} + (-5\,\text{V})}{2} = -2\,\text{V} .

Die Amplitude ist der Abstand von Maximum zu Mittelwert, in unserem Fall also

A = 1\,\text{V} - (-2\,\text{V}) = 3\,\text{V} .

Kreisfrequenz \omega und Phase \varphi lassen sich auf einer Zeit-Achse nicht direkt ablesen! Auf einer Zeitachse kann man nur die Periodendauer T und die zeitliche Verschiebung \Delta t ablesen. Dazu zeichnen wir eine zweite Zeitachse in der Höhe des Mittelwerts  m ein (rot in Abb. 2).

sin2
Abb. 3: die Bestimmung der Periodendauer erfolgt am einfachsten auf einer Zeitachse in Höhe des Mittelwerts.

Die Periodendauer ergibt sich zB aus der Differenz zweier aufeinander folgender Zeitpunkte, bei denen die Funktion den Mittelwert jeweils von unten kommend schneidet; oder jeweils von oben kommend; oder von einem Maximum/Minimum zum nächsten. Was auch immer sich am leichtesten ablesen lässt.

In unserem Beispiel schneidet die Funktion den Mittelwert von unten kommend bei t = 1\,\text{ms} und dann wieder bei t = 6\,\text{ms}. Wir hätten auch t = -4\,\text{ms} und t = 1\,\text{ms} nehmen können.

In jedem Fall ist die Periodendauer hier

T = 6\,\text{ms} - 1\,\text{ms} = 1\,\text{ms} - (-4\,\text{ms}) = 5\,\text{ms} = 0.005\,\text{s} .

Daher ist die Frequenz

\displaystyle f = \frac{1}{T} = \frac{1}{0.005\,\text{s}} = 200\,\text{Hz}

und die Kreisfrequenz

\omega = \tau \cdot f \approx 1257\,\text{s}^{-1} .

sin3
Abb. 4: die zeitliche Verschiebung \Delta t bestimmt man ebenfalls in Höhe des Mittelwerts.

Ohne zeitliche Verschiebung \Delta t würde die Funktion bei t = 0 den Mittelwert von unten kommend schneiden. Wenn die Phase \varphi \neq 0 ist, passiert das zu anderen Zeiten.

Der Einfachheit halber nehmen wir den nächsten Zeitpunkt von t = 0 weg. In unserem Beispiel haben wir

\Delta t = 1\,\text{ms}

und damit

\displaystyle\varphi = -\frac{\Delta t}{T} \cdot \tau = -\frac{1\,\text{ms}}{5\,\text{ms}} \cdot \tau = -\frac{\tau}{5} = -72^\circ \approx -1.26 .

Wir hätten genauso gut \Delta t = -4\,\text{ms} oder \Delta t = 6\,\text{ms} nehmen können. Diese Werte unterscheiden sich um ein ganzzahliges Vielfaches der Periodendauer vom ersten Wert. Entsprechend unterscheiden sich die Phasen \varphi = -4\tau/5 = -288^\circ bzw. \varphi = 6\tau/5 = 432^\circ um ein ganzzahliges Vielfaches des vollen Winkels \tau = 360^\circ voneinander. Aufgrund der Periodizität des Sinus sind alle diese Werte gleichwertig. Üblicherweise nimmt man den Wert, der am nächsten bei 0 liegt.

In Summe ergibt sich für Abb. 2 die allgemeine Sinus-Funktion

\displaystyle\begin{aligned}u(t) &= 3\,\text{V} \cdot \sin\left(\frac{\tau}{0.005\,\text{s}} \cdot t - \frac{\tau}{5}\right) - 2\,\text{V} \\[1ex] &\approx3\,\text{V} \cdot \sin\left(1257\,\text{s}^{-1} \cdot t - 1.26\right) - 2\,\text{V}\, .\end{aligned}

Beispiel 2

Zum September-Nebentermin 2017 der österreichischen Zentralmatura im Cluster 3 der BHS kam das folgende Beispiel (s. Abb. 5).

sRDP
Abb. 5: Ein Beispiel aus der österreichischen Zentralmatura für BHS (Cluster 3), September 2017.

Maximum und Minimum sind 12\,\text{m} bzw. 0\,\text{m}, der Mittelwert daher 6\,\text{m} und die Amplitude ebenfalls 6\,\text{m}.

Von einem Minimum zum nächsten dauert es offensichtlich T = 12\,\text{h}. Den Mittelwert 6\,\text{m} schneidet die Funktion von unten kommend bei etwa \Delta t = 3\,\text{h}. Damit ist

\displaystyle\omega = \frac{\tau}{T} = \frac{\tau}{12\,\text{h}} \approx 0.524\,\text{h}^{-1}

und

\displaystyle\varphi = -\frac{\Delta t}{T} \cdot \tau = -\frac{3\,\text{h}}{12\,\text{h}} \cdot \tau = -\frac{\tau}{4} \approx -1.57 .

Insgesamt ist dann

\begin{aligned}h(t) &= 6\,\text{m} \cdot \sin\left(\frac{\tau}{12\,\text{h}} \cdot t - \frac{\tau}{4}\right) + 6\,\text{m}\\[1ex] &\approx 6\,\text{m} \cdot \sin(0.524\,\text{h}^{-1} \cdot t - 1.57) + 6\,\text{m} \, .\end{aligned}

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