Im 1. Teil haben wir gesehen, dass die Multiplikation komplexer Zahlen eine Drehstreckung der entsprechenden Pfeile ist. Wie Abb. 1 zeigt, wird aus der Drehstreckung eine einfache Drehung, wenn einer der Pfeile die Länge 1 hat.

Das haben wir schon bei der Multiplikation des Pfeils mit sich selber gesehen, um
zu erhalten.
Dreht man zuerst um den Winkel
und danach um den Winkel
, hat man insgesamt um den Winkel
gedreht. Genauso gut hätte man zuerst um den Winkel
und dann erst um den Winkel
drehen können. Die Vertauschbarkeit der Rotationen um die Winkel
und
entspricht also der Kommutativität der Multiplikationen
und
. Es muss daher gelten
.
Aus einer Multiplikation wird so eine Addition.
Beim Rechnen mit Potenzen hat man etwas Ähnliches. Aus einem Produkt wird die Summe der Exponenten
.
Kann es also sein, dass eine Potenz
ist, wobei die Basis ein noch zu bestimmender Pfeil ist?
Dabei ist die Drehung um den Einheitswinkel. Das ist aber nicht 1°, weil die Teilung des vollen Winkels in 360° eine historische Willkür ist. Stattdessen verwendet man das Bogenmaß, bei dem der Einheitswinkel so gewählt wird, dass der entsprechende Kreisbogen ebenfalls die Länge 1 hat (s. Abb. 2). Umgerechnet ergibt das
.

Aber welche komplexe Zahl ist ? Dazu machen wir uns klar, dass die Drehung um den Einheitswinkel dasselbe ist, wie 2-mal hintereinander um den halben Einheitswinkel zu drehen. Oder 3-mal um ein Drittel des Einheitswinkels. Oder …
.
Was genau hat uns das jetzt gebracht? Nun, wenn sehr groß ist, dann ist
ein Pfeil der Länge 1, der den kleinen Winkel
hat (s. Abb. 3).

In diesem Fall ist der Teil von entlang der reellen Achse (der Realteil)
und der Teil entlang der imaginären Achse (der Imaginärteil) ungefähr so lang wie der Kreisbogen
. D.h.,
.
Daher ist für große
.
In der reellen Analysis hat man so einen ähnlichen Ausdruck schon gesehen. Für große ist nämlich
,
wobei die Eulersche Zahl ist. Diese Näherung wird für
exakt.
Analog kann man daher vermuten, dass
ist. Die reelle Zahl hoch die komplexe Zahl
, die mit sich selber multipliziert
ergibt, entspricht also einem Pfeil der Länge 1, der den Winkel
zur positiven reellen Achse hat.
Damit erhält man weiter
,
wobei wir die Potenzrechenregel verwendet haben. Der komplexen Zahl
entspricht also einfach ein Pfeil der Länge 1, der den beliebigen Winkel
zur positiven reellen Achse hat. Wenn man eine beliebige komplexe Zahl
hat, dreht eine Multiplikation mit
den entsprechenden Pfeil einfach um den Winkel
weiter.
Zeichnet man sich auf, kann man den Pfeil als Hypotenuse eines rechtwinkeligen Dreiecks sehen (s. Abb. 4). Der Realteil bildet die eine Kathete und kann als
berechnet werden. Der Imaginärteil bildet die andere Kathete und ist gleich
.

Daher muss
sein. Das ist die berühmte Eulersche Formel.
Weiter in Teil 3.